Bergmannsverein General Blumenthal
Chronik 1959
Noch vor Eintritt der Krise im Steinkohlenbergbau hatten die Außenminister der Mitgliedsländer der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die langfristigen Perspektiven
auf dem Energiemarkt prüfen sollte. Der Gutachter warnte vor einer zu großen Abhängigkeit unserer
Industrieländer von einem als Krisenherd bekannten Gebiet und vor der Gefahr, daß das Öl zur politischen
Waffe werden könnte.
Folgerungen werden daraus nicht gezogen. So steigt die Einfuhr von Rohöl von 8 Mio t im Jahr 1957 auf knapp
17 Mio t im Berichtsjahr an. Zehn Jahre später sollte die 90 Mio t-Grenze überschritten werden. Der Anteil des
Öls am Brennstoffverbrauch der Industrie erhöht sich im ersten Krisenjahr rapide von 8,3% auf 15,7%.
Auch die deutschen Bergbauunternehmen engagieren sich verstärkt im Mineralölhandel und bauen ihre
Marktanteile aus.
Der Bundeswirtschaftsminister sieht im Bergbau keine strukturelle Krise, sondern organische Entwicklungen,
die nicht auf Deutschland beschränkt seien. Er lehnt dirigistische Eingriffe ab und erklärt seine Absicht, gleiche
Wettbewerbsbedingungen zwischen Kohle und Öl herzustellen.
Für den Bergbau fehlen die Voraussetzungen für eine wirksame Interessenvertretung. Eine Konzeption, die die
Interessen der gesamten Branche repräsentieren könnte, ist vom Unternehmensverband Ruhrbergbau nicht zu
erwarten, da sich unter seinem Einflußbereich Bergbauunternehmen unterschiedlichster Wirtschaftslage und
Eigentumsverhältnisse befinden. So wird am 03. Februar 1959 die "Notgemeinschaft Deutscher
Steinkohlenbergbau GmbH" gegründet. Diese faßt die vier deutschen Kohlenreviere Aachen, Niedersachsen,
Ruhr und Saar zusammen und bemüht sich zunächst um die Ablösung von Importverträgen von USKohle. Sie
ersetzt den US-Importeuren, den Reedern und den deutschen Kohlehandelsgesellschaften den daraus
entstandenen Schaden. Dafür werden 351 Mio DM aufgebracht. Als Erfolg werden 10 Mio t an Importkohle
durch einheimische Kohle ersetzt. Seitens der Bundesregierung ergeht nach Inkraftsetzen der Notstandsklausel
des "Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens (GATT)" ein Verbot für den Neuabschluß von
Kohleeinfuhrverträgen. Im Frühjahr wird schweres Heizöl mit einer Umsatzsteuer belegt. Für
Kohleeinfuhrmengen über das Kontingent von 5,13 Mio t hinaus muß ein Zoll von 20 DM je t entrichtet werden.
Der Bundestag gibt eine Energie-Enquête in Auftrag, eine Untersuchung der Produktions- und
Absatzbedingungen für den deutschen Steinkohlenbergbau. Das Ergebnis soll 1961 vorliegen.
Die Aufforderung an das Öl, maßzuhalten, führt im Februar 1959 zur Bildung eines Kartells zwischen zwei
großen Bergbauunternehmen und den vier führenden Mineralölkonzernen. Die Kontrahenten verpflichten sich,
auf ein Dumping der Weltmarktpreise in der Bundesrepublik zu verzichten. Der Vertrag bröckelt schon nach
kurzer Zeit und wird unwirksam. Das Wirtschaftskabinett beschließt noch am Tage der Vertragskündigung
durch die Esso AG am 13. August, alle Heizölsorten mit einer Verbrauchssteuer von 30 DM/t zu belasten. Erst
nach sieben Monaten stimmt das Parlament zu.
Während die heimische Kohle den strengen Wettbewerbsvorschriften des Montanunionsvertrages unterliegt,
genießen Einfuhrkohle, Öl und Erdgas in den Ländern der Gemeinschaft mehr oder weniger große Freiheit.
Am 30. Juni wird mit dem Bergwerk Friedrich Thyssen 4/8 in Duisburg-Meiderich die erste größere Anlage
stillgelegt. Die Stillegung weiterer Zechen droht. Anpassungsbeihilfen der Bundesrepublik und der Hohen
Behörde sollen dabei auftretende soziale Härten auf ein tragbares Maß zurückführen.
Auf Druck der Zechenbelegschaften organisiert die IG Bergbau einen Protestmarsch nach Bonn. 60.000
Bergarbeiter demonstrieren unter dem Motto "Sicherheit statt Chaos" gegen die Energiepolitik der Regierung.
Im Juni überschreitet die Zahl der seit Februar 1958 verfahrenen Feierschichten die Fünf-Millionen-Grenze.
Der Ruhrbergbau senkt im Berichtsjahr die Förderung um 6,9 Mio tvF auf 115,4 Mio tvF. Die Untertageleistung
steigt auf 1,887 tvF je Mann und Schicht.
In den vier Kohlenrevieren der Bundesrepublik liegen am Jahresende 17,6 Mio t Kohle auf Halde. Die sozialen
Folgen der zwangsläufig eingelegten Feierschichten mildert die Bundesregierung mit einem Härteausgleich.
Am 01. Mai führen die Gruben die 5-Tage-Woche mit einer Arbeitszeit von 40 Stunden ein. Das bedeutet die
Rückkehr zur 8 Stunden-Schicht.
Auch die Bergwerksgesellschaft Hibernia fördert mit 10,3 Mio tvF etwa 4,6% weniger als im Vorjahr und liegt
mit einer Untertageleistung von 1.791 tvF/MS nur knapp unter dem Ruhrdurchschnitt. Die Ertragslage
verschlechtert sich.
Auf dem Bergwerk General Blumenthal gedenkt man am 22. Mai der Förderaufnahme vor 80 Jahren. Erstmalig
wurden damals 500 Zentner Kohlen "vorzüglichster Qualität" zu Tage gebracht und im Juli zum Preis von 0,40
Mk per Zentner im "Landdebit" angeboten.
Im ersten Jahr nach Ausbruch der Krise liegt die verwertbare Förderung um 74.020 t unter der des Vorjahres.
Wohl aber rückt das Bergwerk nun auf Platz 1 der 11 fördernden Anlagen der Gesellschaft. Bedingt durch die
Einführung der 5-Tage-Woche und der im Verlauf des Jahres angefallenen 12 Feierschichten stehen 22
Arbeitstage weniger zur Verfügung als 1958. Die Untertageleistung ist um ca.100 kg/MS höher als der
Ruhrdurchschnitt. Von den zu Tage gebrachten Kohlen kommen 17,48% Gaskohle aus dem Flöz Zollverein.
Fast die Hälfte der geförderten Fettkohle liefern die Flöze Karl 1 und Karl 2.
Das Vorhaben, den anstehenden Kohlenstoß in Flöz Katharina zu hobeln, stößt auf Schwierigkeiten, da bei
dem kurzbrüchigen Hangenden der Abstand zum Strebausbau bei Verwendung eines herkömmlichen
Anbauhobels zu groß ist. So kommt ein von der Firma Beien in Herne neuentwickelter Schrämplattenhobel mit
einer Tiefe von nur 38
cm in Verbindung mit einem Universal-Leichtförderer ab April zum Einsatz. Später erfolgt ein Austausch des
Förderers gegen den größeren Universalförderer.
Anfang Juni ist auch der Hobelbetrieb in Flöz Karl 2, Unterdammstreb nach Osten, im Bereich der
Blindschächte 75/76 förderfertig.
Auf der 8. Sohle an Schacht 3 wird erstmalig im Streb Hugo 1 nach Osten versuchsweise ein
Schrämwalzenlader der Firma Eickhoff in Bochum in Betrieb genommen. Die Walze der Type W-SE IV muß
jedoch schon nach wenigen Wochen wieder stillgelegt werden, da das Hangende im freigeschrämten Feld so
schnell ausbricht, daß ein Rücken des Fördermittels unmöglich wird.
Der Untertagebetrieb verfügt nun über 6 Hobelanlagen.Die rasch fortschreitende Mechanisierung in der
Kohlengewinnung auf General Blumenthal erweckt das Interesse der Öffentlichkeit. Die Presse berichtet über
die bemerkenswerte Verbesserung der Technik auf der Schachtanlage. Der Mechanisierungsgrad liegt um
5,3% über dem Durchschnitt der Ruhrzechen.
Im Jahr 1959 wird eines der ersten Mechanisierungsgeräte im Bergbau auf General Blumenthal außer Betrieb
genommen - die Schüttelrutsche. Waren 1957 noch 1.100 m und 1958 noch 561 m dieses Fördermittels unter
Tage im Einsatz, so wird im Berichtsjahr auch die letzte Schüttelrutsche in Flöz Karl 1, Rev.12, durch einen
Stegkettenförderer ersetzt. Die Schachtanlage General Blumenthal kann für sich in Anspruch nehmen, bei der
Entwicklung eines der ersten mechanisierten Fördermittel im Streb vor mehr als 50 Jahren Pate gestanden zu
haben und Versuchsfeld gewesen zu sein. Zu Anfang des Jahrhunderts regierten Pannschippe und Muskelkraft.
Kohle und Berge wurden mit viel Schweiß und Zeit zur Abbaustrecke transportiert. Erst 1906 entstand die
primitivste Art einer Rutsche mit teilweise Hand- und Beinantrieb. Man baute 2 - 3 m lange Muldenbleche
überlappend zusammen. Ab etwa 20 Grad Einfallen rutschte die Kohle von selbst. War das Einfallen flacher,
mußte der Bergmann mit Händen und Füßen nachhelfen. Noch im gleichen Jahr halfen sich die Bergleute,
indem sie die vorhandenen schweren Stoßbohrmaschinen an die Blechrinnen anschlossen - eine erste
Mechanisierung. Bald danach wurde der Arbeitskolben der Stoßbohrmaschine mit der Rutschenrinne fest
verbunden. Gleichzeitig hing nun das neue Fördermittel in Ketten. Ein Jahr später baute man den ersten
Rutschenmotor, dessen Ersteinsatz auf der Zeche General Blumenthal erfolgte. Das neue Fördermittel, an
dessen zügiger Weiterentwicklung man ständig arbeitete, wurde von der Firma Flottmann-Werke in Herne
konzipiert und gebaut.
Auch in den steil gelagerten Flözen setzt die Mechanisierung ein. Ende des Jahres wird im Bereich Schacht 7
der erste Stauscheibenförderer der Firma Westfalia Lünen in einem Steilstreb eingebaut. Das Fördermittel
vergleichmäßigt die Geschwindigkeit der gelösten Kohle auf ihrem Weg zum Strebausgang.
Im Jahr 1959 beginnt man zur Versorgung der im Niveau der 8. Sohle laufenden Reviere 7 (Hugo 1 nach
Westen) und 15 (Hugo 1 nach Osten) mit Blasbergen an Schacht 3 zwischen der 7. und der 8. Sohle mit dem
Einbau einer Bergefalltreppe
In der Ausrichtung wird am 09. März auf der 4. Sohle, Schacht 3 aus der 7. Querschlagsachse heraus die Kurve
zur 4. Richtstrecke angesetzt. Auch der 3. Querschlag auf der 7. Sohle wird weiter nach Norden aufgefahren.
Die Auffahrung der 4. Richtstrecke nach Osten auf der 7. Sohle erreicht im Oktober das Flöz Finefrau und wird
1.750 m östlich der 9. Querschlagsachse gestundet. Da vorläufig hier keine weiteren Aktivitäten geplant sind,
mauert man die Strecke im Folgejahr in Höhe der Achse der 9. Querschläge zur Einsparung der Kosten für die
Sonderbewetterung ab. Im Bereich Schacht 7 wird die 6. Richtstrecke nach Osten bis April zur 5.
Querschlagsachse vorgetrieben und gestundet. Vom Endpunkt aus erfolgt unmittelbar folgend der Ansatz des
Gesteinsberges nach Flöz Dickebank mit einem Einfallen von etwa 20 Gon.
Im Oktober finden die Abteufarbeiten im Blindschacht 732 ihren Abschluß. Auch wird der im Vorjahr begonnene
Blindschacht 561 noch im Berichtsjahr hinsichtlich der bergmännischen Arbeiten fertiggestellt.
Im Zuge der weiteren Mechanisierung der Ladearbeit in den Abbaustrecken, in denen die Förderwagen nicht
bis vor Ort gebracht werden können, stattet man nun die Salzgitter- Lademaschine HL 400 mit einer
Seitenkippschaufel aus und läd auf einen Stegkettenförderer.
Zur Erhöhung der Grubensicherheit erfolgt in allen Abbaubetrieben mit Sondergenehmigung, d.h. in Streben mit
mehr als 1,0% CH4 im Abwetterstrom, der Einbau von "Grenzkontakten". Damit werden bei Erreichen eines
Grubengasgehaltes von mehr als 1,5% alle elektrisch angetriebenen Maschinen und Geräte vom Strom
abgeschaltet. Außerdem erscheint - verbunden mit einem Hupsignal - in der Markenkontrolle an Schacht 1/2/6
eine optische Anzeige mit Angabe des Reviers.
Auch ein Tagesbetriebsführer lebt gefährlich. Der Motor des Aufgabebecherwerkes in der Aufbereitung ist
defekt und muß gewechselt werden. Der neue Motor wird im Wagen zum Aufzug gefahren, wo man, um
genügend Platz zu haben, inzwischen die erforderlichen Bleche der Zwischenböden herausgenommen hat.
Anstatt den Motor mit Seilen zu unterfangen und sicher hochzuziehen, hängt man den Haken einfach in die Öse.
Als der Motor schon fast oben ist, kommt, was kommen mußte. Das Gewinde der Öse reißt aus. Der Motor
geht polternd nach unten, reißt einige Bodenbleche mit und landet mit dumpfem Knall wieder im Wagen, an
dem gerade der nichtsahnende Tagesbetriebsführer Rumberg vorbeigeht. Sein Schutzengel steht ihm bei und
ihm geschieht nichts.
Direktor Ewald Hilgenstock kann am 12.01.1959 seinen 60. Geburtstag feiern. Er kam 1931vom Bergwerk
Shamrock 1/2 in Herne als Obersteiger zum Bergwerk General Blumenthal und wurde hier 1935 zum
Betriebsführer und 1943 zum Grubeninspektor befördert. Nach dem Krieg wechselte er 1948 zum Bergwerk
Schlägel und Eisen, wo er 1952 zum Betriebsdirektor und später in Anerkennung seiner Verdienste um die
Hibernia-Grubenbetriebe zum
Bergwerksdirektor ernannt wurde.
Auf General Blumenthal tritt am 01. Februar - vom Bergwerk Alstaden kommend - Dipl.-Ing. Hans Pinnow
seinen Dienst an. Er wird der erste Ingenieur für Betriebswirtschaft und gehört zur Stabsstelle.
Am 01. April wird Dr.-Ing. Ulrich Klinge Obersteiger.
Fahrsteiger Werner Heipertz kommt am 01. April von der Firma C. Deilmann in Dortmund und übernimmt die
Sicherheitsabteilung von Fahrsteiger Alfred Schwaak.
Betriebsführer Walter Wengeler tritt am 01. Mai, von der Anlage Shamrock 3/4 kommend, seinen Dienst auf
dem Bergwerk an und leitet nun den Betriebsbereich Schacht 3/4, wo ihm die Fahrsteiger Herbert Kuth
(Kohlenförderung) und Dipl.-Ing. Manfred Bernauer (Aus- und Vorrichtung) unterstellt werden.
Im Herbst übergibt Fahrsteiger Josef Benner die Leitung der Ausbildungsabteilung an Fahrsteiger Josef
Seiler.
Maschinen-Fahrsteiger über Tage Bernhard Pennekamp wechselt am 31. Oktober ins Privatleben.
Ein bis in den Oktober andauernder Mangel an Niederschlag führt zu extremer Wasserknappheit im gesamten
Bundesgebiet, insbesondere in den industriellen Ballungsgebieten.