Bergmannsverein General Blumenthal
Chronik 1962
Das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich weiter.
Nach wie vor scheitert eine koordinierte Energiepolitik im gemeinsamen Markt an gegensätzlichen
Auffassungen über eine möglichst billige oder eine möglichst sichere Energieversorgung.
Der Primärenergieverbrauch in der Bundesrepublik nimmt um 7,1% zu. An dieser Zuwachsrate partizipiert der
Steinkohlenbergbau jedoch nur mit 1,2%.
Das Erdöl ist bei erhöhtem Marktanteil weiter auf dem Vormarsch. Die Importe steigen beim Rohöl etwas
weniger als im Vorjahr um 3,6 Mio t auf 33,3 Mio t, bei den Mineralölprodukten aber um 4,5 Mio t auf 13,2 Mio
t.
Die Steinkohlenförderung in der Bundesrepublik geht um 1,6 Mio t auf 141,1 Mio t zurück. Dagegen können
(auch wegen des strengen Winters 1962/63) 143,2 Mio t Kohle abgesetzt werden, so daß die Haldenbestände
(ohne Auslagerungen der Notgemeinschaft) auf 9,6 Mio t sinken.
Insgesamt aber sieht die Bundesregierung nun die Notwendigkeit einer Stützungsaktion für den deutschen
Kohlenbergbau als gegeben. So gibt Wirtschaftsminister Erhard im Mai 1962 der Kohle die Versicherung: "Wir
wollen unsere Wirtschaftspolitik im ganzen so orientieren, daß sie bei eigenen Anstrengungen ihren Absatz mit
140 Mio t wird behaupten können".
Dazu soll ein Sieben-Punkte-Programm beitragen. Wichtigster Teil ist die als erforderlich gesehene Gründung
eines öffentlich-rechtlichen Rationalisierungsverbandes, dessen Gründungsphase sich aber lange hinzieht, so
daß diese Institution erst im Herbst 1963 ihre Arbeit aufnehmen kann. Immerhin aber wird damit erstmals die
Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des bundesdeutschen Stein- und Pechkohlenbergbaus als eine legitime
Aufgabe eines Organs der staatlichen Verwaltung anerkannt. Die Gesetze über Kohlenzoll und Heizölsteuer
werden verlängert.
Seit 1960 werden die Halden deutlich abgebaut. Das führt trotz der vorgenommenen Zechenstillegungen und
der Zusammenfassung zu Zentralschachtanlagen bei der insgesamt schlechten Situation des
Steinkohlenbergbaus zu harten Auseinandersetzungen bei den Tarifverhandlungen. An der Saar einigt man sich
im Mai erst nach einem achttägigen Streik auf eine Lohnerhöhung von 8%. Auch im Ruhrgebiet sprechen sich
am 14. Juni nach gescheiterten Tarifverhandlungen in einer Urabstimmung 97% der organisierten
Belegschaften für Kampfmaßnahmen aus. Eine Woche vorher votierte die Mehrheit der 1.500 Teilehmer einer
Funktionärskonferenz in Dortmund sogar für eine Erhöhung der ursprünglichen Forderung von 7% auf 10%. Auf
Intervention der Bundesregierung einigt man sich schließlich am 25. Juni auf eine achtprozentige
Lohnerhöhung.
Das Jahr 1962 wird von zwei schweren Grubenunglücken überschattet.
Im Saargebiet ereignet sich am 07. Februar auf dem Bergwerk Luisenthal eine Schlagwetterexplosion, der 299
Bergleute zum Opfer fallen.
Eine weitere Schlagwetterexplosion fordert am 9. März auf dem Bergwerk Sachsen in Heessen bei Hamm das
Leben von 29 Bergleuten.
Die Bergwerke der Gesellschaft Hibernia liegen mit ihrer Förderung von 10,1 Mio t knapp unter der
Vorjahreszahl. Die Leistung unter Tage aber steigt auf 2,410 tvF/MS und erreicht damit das Ruhrgebietsniveau.
Die Ertragslage bessert sich nicht, obwohl 181.000 t Kohle von der Halde verkauft werden können. Zu
Jahresende verzeichnet die Gesellschaft einen Haldenbestand von 499.000 t.
Seit 1958 ist die Belegschaft um ein Drittel auf nur noch 30.100 Mitarbeiter zurückgegangen.
Verstärkt nimmt man die Mechanisierung des Abbaus in den steil gelagerten Flözen durch den Einsatz von
Steilhobel- und Rammanlagen in Angriff.
Die Stillegung des Bergwerks Scholven nimmt ihren Anfang. Der Abbau wird auf das Verbundbergwerk
Bergmannsglück/Westerholt verlagert.
Zu Anfang des Jahres erfolgen erste Überlegungen für einen Anschluß der Anlage Shamrock 3/4 an das
Bergwerk General Blumenthal.
Die Abbaubetriebe des Bergwerks General Blumenthal fördern im Berichtsjahr bei 260 Arbeitstagen etwas
mehr als im Vorjahr. Die Streben der Fettkohlenflöze bringen 81% der Gesamtförderung. Mehr als die Hälfte
der Produktion kommt aus den Flözen Karl, Hugo und Katharina. In der flachen Lagerung läuft der Streb in Flöz
Dickebank nach Westen an Schacht 7, unterhalb der 3. Sohle im 3. Querschlag in den Monaten Juni bis
September und von November an für den Rest des Jahres. Im Oktober nimmt ein Betrieb in Flöz Wasserfall auf
der 3. Sohle (6. Richtstrecke) die Förderung auf.
Es werden verstärkt Reißhakenhobelanlagen eingesetzt.
In der steilen Lagerung, in der nun bereits 3 Rammanlagen laufen, stellen die Streben in den Flözen Ida im Mai
und Dickebank im August die Förderung ein. Die Rammbetriebe bringen nun und in der Folgezeit mehr als
1.000 tvF/d bei geringeren Selbstkosten als die Strebbetriebe in der flachen Lagerung.
In dieser Zeit beginnt man mit der Lieferung von täglich 1.000 t Kohle an das Kraftwerk Groß-Krotzenburg in
Süddeutschland. Zwischen dem Kraftwerk und dem Bergwerk General Blumenthal sind nun ständig 2
Pendelzüge unterwegs.
Die Direktion entschließt sich, das Westfeld auf der 5. Sohle an Schacht 2 abzuwerfen, weil die dort
anstehenden Gasflammkohlen in den Flözen Hagen 1, Hagen 2 und Freya nur unter hohen Kosten zu gewinnen
und schwer absetzbar sind. Auch die Richtstrecke nach Schacht 5 wird ausgeraubt und im Oktober
abgemauert. Wenige Monate vorher haben dort noch Versuche mit einer Aliman-Maschine, einem Vorläufer
der späteren Vortriebsmaschinen für Gesteinsstrecken stattgefunden - ohne Erfolg.
Das Aggregat erwies sich mit seinem Schneidkopf von 1,1 m Durchmesser, der mit Schrämmeißeln bestückt
war, als zu leicht.
Der Schacht 5 soll später verkippt werden.
Am 01. August nimmt der Untertagebetrieb die
erste automatisierte Kohlenladestelle in Betrieb.
Der Umbau der Ladestelle für den Streb in Flöz
Karl 1 auf der 8. Sohle an Schacht 3 (Rev. 6)
hat 5 Monate gedauert. Nun erfolgt der gesamte
Arbeitsablauf -gesteuert durch
Elektro-Magnetventile und Schalter - selbsttätig.
Nur ein Mann überwacht die Anlage. Er ist
hauptsächlich mit Säuberungsarbeiten
beschäftigt.
Für die Erstellung des Abwetterweges auf der 4.
Sohle an Schacht 3 wird vom 7. Querschlag
aus der Durchstich zum Abwetterschacht 4
aufgefahren. Auf der 7.Sohle nimmt man im
Januar die Weiterauffahrung des 9.
Querschlages nach Norden wieder auf, um den
geplanten Abbau in Flöz Karl 1 oberhalb der 7. Sohle zu lösen und den Durchsetzpunkt des ebenfalls in Planung
stehenden Schachtes 8 zu erreichen.
Im April beginnen die Abteufarbeiten für den Blindschacht 791. Das Abteufen erfolgt nach der Herstellung eines
Großbohrloches, über das die Berge abgefördert werden. Der Blindschacht wird insbesondere zur Versorgung
der künftigen steil gelagerten Abbaubetriebe in diesem Feldesteil mit Versatzbergen dienen und soll mit einer
Skipförderung ausgerüstet werden.
Nach Abwägung aller planerischen Möglichkeiten und im Hinblick darauf, daß in den kommenden Jahren
zunehmend der wesentliche Anteil der Berge im Baufeld C anfallen wird, fällt die Entscheidung, die
vorgesehene Bergebrechanlage auf der 7. Sohle westlich der 9. Querschlagsachse zu installieren. So setzt
man im August den Umtrieb für diesen Grubenbau von der 4. Richtstrecke aus an.
Der Schacht 2 soll in den nächsten Jahren Hauptseilfahrtschacht für die Anlage 1/2/6 werden, um den Schacht
6 für die ständig zunehmende Materialförderung zu entlasten. Auf der 7.Sohle wird deshalb vom 3. Querschlag
aus der Umtrieb zum Schacht 2 angesetzt.
Im Oktober ist auch die 7. Richtstrecke auf der 7. Sohle, die den 3. mit dem 5. Querschlag verbindet,
fertiggestellt.
In das Berichtsjahr fällt die Auffahrung des Transportberges in Flöz Katharina im Bereich Schacht 7.
Im Herbst erreicht der tiefer geteufte Blindschacht 82 (später Bl. 952) die 9. Sohle.
Im Blindschacht 733 kann Anfang August die Gefäßförderanlage in Betrieb genommen werden. Sie versorgt
auf der 5. Sohle den Streb in Flöz Johann und die unterhalb des 3. Querschlags auf der 3. Sohle nach Osten
und Westen laufenden Abbaubetriebe in Flöz Dickebank mit Blasbergen. Die beiden Streben in Flöz
Dickebank werden dabei zunächst von 1 Blasmaschine über eine Rohrweiche jeweils bedient.
Im November ergibt eine Lotung der Bergefalleitung im Schacht 2 eine beträchtliche Abweichung im unteren
Teil der Leitung von der Senkrechten. Aufwendige Arbeiten sind nötig, um den Rohrstrang wieder in die Fallinie
zu bringen.
Der Elektrifizierungsgrad in den Betrieben des Bergwerks erreicht den Wert von 79% und entspricht damit dem
Durchschnittswert der Hibernia. Der Ersatz der Druckluft durch elektrische Energie wird nachdrücklich
betrieben. Vor allem die Umstellung der vielen Dauerläufer, zu denen die Lüfter für die Sonderbewetterung
gehören, spart erhebliche Kosten ein, zumal die elektrisch betriebenen Lüfter im Lauf besser regelbar sind.
Ende des Jahres erhält der Grubenbetrieb den ersten Raupenlader vom Typ 280 RK der Firma Salzgitter
Maschinen AG. Die bewegliche Lademaschine macht es überflüssig, die Gleise in den Strecken vor dem Abtun
des Abschlags bis vor Ort zu verlegen und läd mit ihrer Kippschaufel im Vortrieb zumeist auf einen
Stetigförderer.
Auch der Materialtransport entwickelt sich in Technik und
Organisation weiter. Täglich gehen etwa 450 t an
Material nach unter Tage. Nicht zuletzt durch die
zunehmende Verwendung von stählernem Strebausbau
nehmen die Gewichte der Einzellasten zu. So erweisen
sich bald an den Einschienenhängebahnen die
Laufschienen NP 120 St 37 als zu schwach. Das
Aufschweißen von Flach- oder U-Eisen an den
Flanschen bringt aber nur vorübergehende Besserung.
Die Gebäude der Schachtanlage 3/4 werden an die
Fernheizung angeschlossen.
Im Gleisnetz für die Abfahrt der Kohlen aus der Aufbereitung erfolgt die Herstellung einer Rangieranlage für die
Verladung der Kesselkohlen. Die Lampenstube auf der Anlage 1/2/6 wird auf Selbstbedienung umgebaut.
Zur Förderung der Unfallbekämpfung werden ab dem 01. Dezember Unfallverhütungsprämien eingeführt.
Bezugsberechtigt sind Aufsichtspersonen vom Fahrhauer bis zum Obersteiger. Die Prämien, die auf den
anderen Hibernia-Anlagen bereits üblich sind, betragen vierteljährlich mindestens 200 DM.
In diesem Jahr erinnert man sich an zwei schwere Grubenunglücke auf dem Bergwerk General Blumenthal. Vor
25 Jahren ereignete sich am 02. Juli 1937 gegen Ende der Mittagschicht in der Kopfstrecke des Flözes
Gretchen (Rev. 13a) eine Schlagwetterexplosion, bei der 15 Bergleute den Tod fanden. Die in den Strecken
eingebauten Gesteinsstaubsperren verhinderten eine weitere Ausbreitung der Explosion. Bereits 45 Minuten
nach dem Ereignis war der erste Trupp der Grubenwehr unter der Leitung des Oberführers Ernst Sohn am
Unfallort, um Tode und Verletzte zu bergen. Einer der Überlebenden, der damals 16 Jahre alte Schlepper Hans
Ziel erinnert sich, daß er mit dem seiner Pflege anvertrauten Pferd "Fuchs" durch die Wucht der Explosion an
den Stoß geschleudert wurde. Die bergbehördliche Untersuchung ergab, daß bei der Entstehung der Explosion
kein schuldhaftes Verhalten von irgendeiner Seite vorlag.
Das zweite Unglück geschah vor 20 Jahren am 15. Mai 1942 auf der Morgenschicht im Westfeld auf der 5.
Sohle im Flöz Dach. Ein Motorbrand, der vermutlich durch ein überhitztes Kabel ausgelöst worden war,
verursachte einen schweren Grubenbrand, dem 7 Bergleute zum Opfer fielen. Unter ihnen war auch der
Oberführer der Grubenwehr, Fahrsteiger Ernst Sohn, der bei den Rettungsarbeiten nach zwei Einsätzen an den
Folgen eines Wärmestaus starb. Er hatte 5 Jahre vorher die Grubenwehr bei der Schlagwetterexplosion in Flöz
Gretchen in vorbildlicher Weise geführt (s.o).
Wie schon in den vergangenen Jahren wird auch der Wohnungsbau für die Belegschaft ein gutes Stück
vorangebracht. Die Fertigstellung von 41 Wohneinheiten zeigt dies eindrucksvoll. In dieser Zahl sind 30
Eigenheime enthalten, 15 davon in der Langen Wanne am Froschkönigweg. Auch 3 privat gebaute Eigenheime
- finanziell gefördert durch die Hibernia - sind bezugsfertig. Der Bestand an werkseigenen Wohnungen liegt am
Jahresende bei
insgesamt 3.400 Wohneinheiten.
Im immer noch schwach belegten Jugenddorf
werden die Sprachkurse für ausländische
Praktikanten weitergeführt. Von Januar bis April
lernen hier 40 Kongolesen die deutsche Sprache.
Die älteren Recklinghäuser Bürger erinnern sich
vielleicht noch an die dunkelhäutigen jungen Leute,
die - oft mit Trainingshosen bekleidet und vor
ungewohnter Kälte zitternd - durch die Stadt liefen.
Der Aufruf an die Bevölkerung, besonders an die
Belegschaft von General Blumenthal, den Gästen
aus dem schwarzen Erdteil wenigstens an Sonn-
und Feiertagen einen Familienanschluß zu bieten,
trifft nicht auf taube Ohren. So mancher Afrikaner
wird Stammgast bei einer Bergmannsfamilie.
Die Ausbildung von Handwerkerlehrlingen nach den 1961 ergangenen Richtlinien und dem damit verbundenen
Wechsel der Aufsicht von der Handwerks- zur Industrie- und Handelskammer machen eine Vergrößerung und
Neustrukturierung der Lehrwerkstätten erforderlich. Bis dahin erfolgte die Ausbildung des bergmännischen
Nachwuchses auf einem etwa 600 m2 großen Werkstattgelände durch einfache Produktions- und
Reparaturarbeiten. Nun beginnt man im August mit der Vergrößerung der Lehrwerkstatt auf eine Fläche von
1.200 m2. Vorgesehen sind besondere Räume für eine systematische Grundausbildung in der
Metallverarbeitung und Elektrotechnik (später auch Elektronik). Dafür werden moderne maschinelle und
elektrotechnische Anlagen beschafft.
Im Sommer 1962 besuchen 13 französische
Jungarbeiter das Bergwerk General Blumenthal. Die
Gäste fahren im Anschluß an ihren Aufenthalt mit
Austauschlehrlingen des Bergwerks Waltrop in ein
gemeinsames Zeltlager nach Dieppe an der
Kanalküste.
Man soll nicht glauben, Bergmannsfrauen hätten
Angst vor Tiefe und Dunkelheit. Im Herbst befahren 4
Frauen von leitenden Angestellten mit ihren Männern
einen Streb im steil gelagerten Flöz Wasserfall an
Schacht 7.
Am 01. Januar übernimmt Ass.d.Bergfachs Hermann Steffe die
Planungsabteilung. Die Stelle des Sicherheitsingenieurs wird ab diesem
Zeitpunkt von der Stabsstelle nicht mehr besetzt.
Am 01. Februar kommt Dipl.-Ing.Jürgen Nehrdich vom Bergwerk
Zweckel-Scholven zum Bergwerk General Blumenthal und wird
Betriebsdirektor, nachdem im Juli sein Vorgänger Dipl.-Ing. Ernst Weber als
stellvertretender Leiter der Abteilung Technik unter Tage zur Hauptverwaltung
versetzt worden ist.
Nach umfangreichen Bauarbeiten wird in Recklinghausen der modernisierte
Hauptbahnhof seiner Bestimmung übergeben.
Die Stadt verzeichnet am 31. Mai mit 131.739 Einwohnern die bisher höchste Einwohnerzahl.